Dienstag, 9. Oktober 2007

Roma e le altre


Düfte

Welchen Duft hat Berlin?

Jede Stadt hat ihren Duft.

New York riecht nach neuen Schuhen.

Paris riecht nach Kino.

London riecht nach Jugenderziehungsanstalten.

Stockholm nach frischer Wäsche.

Athen nach Stadion Rennbahnen.

Barcelona nach Rot.

Amsterdam nach Apfelpudding.

Venedig nach Menschlichkeit.

Und Berlin?

Diesen Duft kenne ich nicht.

Das fragte sich Gregory Corso in einem Gedicht der Sammlung „Poesie Berlinesi“. Was sind die Düfte der Städte? Aber er erwähnt Rom nicht, obwohl er es kennt. Vielleicht sagt er es nur nicht in meiner gekürzten Version, vielleicht hat er es gesagt und dann doch weggelassen. Oder auch nicht. Aber was ist eigentlich der Duft Roms? Gibt es nur einen einzigen? Es würde mir genügen, die Düfte historisch einzuordnen statt sie zu analysieren. Die Verbreitung der Düfte, ihre zunehmende Verflüchtigung, ihre Verschwommenheit, ihre Beständigkeit, ihre Zusammensetzung. Und hier wird die Liste der Beschreibungen schon durch persönliche Erinnerungen beeinflusst: Der Gestank von Pisse in den Unterführungen bei der Porta Pia hat denjenigen der elliptischen und alten Pissoire a separè, wo stets neu belebende fliessendes Wasser durchfloss, verdrängt. Der Gestank der Ecken hinter dem Campo de' Fiori, die Orte der Säufer, die sich nicht zurückhalten können zu pissen. Der Duft der frühen Morgenstunde, noch frei von Smog, wie man ihn als von den nächtlichen Schichten Zurückkehrender erlebt, oder im Herzen der Nacht der Gestank des Bahnhofs , der müffigen Gassen, der Gestank des Fetts von gewissen Garküchen, der Duft der gegrillten Hühnchen am Spiess, der Duft der Glasur vor den nächtlichen Gipfel-Bäckereien, die Abgase der Autos in Doppelkolonne und die unbekannten Düfte hinter beleuchteten Scheiben und heruntergelassenen Rollläden.

Der Duft von Brot in der Via dei Quattro Venti, der Duft unter meinem Haus im Pigneto, welcher Trost für eine verschieden anstrengende Arbeit ist. Der Duft der Rösterei, beim Pantheon, namens tazzadoro. Der Duft der Milch, gekocht mit Dampf der unzähligen Cappuccini. Der Duft der Padronen, die umhüllt von riechenden Duftwolken auf die Strasse gehen, oder der Naftalinduft in den Mäntel alter Herren. Der Gestank der schliessenden Märkte, mit Leuten, die verstampften Orangen und Tomaten vom Boden aufnehmen. Der Gestank des Smogs und an derselben Stelle der Duft von Glyzinie, zu einer anderen Zeit. Genauso das Alpenveilchen, die Geranien, die Hortensien. Der Duft des frisch geschnittenen Grases, der Villen, der Stadtgärten. Der Gestank des gestandenen Wassers… der Sommer- und Frühlingsduft. Der Duft des Arbeitenden: vom Schuhmacher und vom Schreiner. Die auf der Strasse nach Weihrauch duftenden Pakistani. Der Duft der Mechaniker und der Gestank nach in Fässern geliefertem Benzin. Die nach Weihrauch duftenden Priester. Der Gestank der Dämmerung: der mit Chlor gereinigten Büroböden, der Ministerien, aufleuchtende Lichter bevor man die Computer einschaltet. Im Pigneto zurückgekehrt: die Katzenpisse und der Hundedreck. Der Kaffeeduft am Morgen, bis ins Treppenhaus hinunter. Der Gestank des Frittiergutes, der chinesischen Häuser im Esquilino, der Duft des Curry und anderer Gewürze, der Gestank nach brutzelndem Öl in den Pfannen von der Dämmerung bis zum Abendrot.

Erri De Luca, Odori, in

Roberto Cravelli, Perdersi a Roma, Roma 2004


1 Kommentar:

frauke hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.